ETH im Abwärtstrend: Ethereum in der Selbstfindungsphase — Ist ETH Geld oder ein produktives Asset?

ETH hat sich in den letz­ten Jah­ren schwach ent­wi­ckelt — nicht nur in US-Dol­lar gemes­sen, son­dern vor allem gegen­über Bit­co­in. Die ETH/BTC-Ratio befin­det sich auf Mehr­jah­res­tiefs. Gleich­zei­tig bekommt Ethe­re­um als Layer‑1 zuneh­mend Kon­kur­renz durch per­for­man­te­re Chains wie Sol­a­na oder Sui, die durch nied­ri­ge Gebüh­ren, hohe Geschwin­dig­keit und eine aggres­si­ve Wachs­tums­sto­ry Markt­an­tei­le gewinnen.

Und doch: In den ver­gan­ge­nen Jah­ren hat sich Ethe­re­um ste­tig in Rich­tung sei­nes lang­fris­ti­gen Ziels bewegt — zur Infra­struk­tur des glo­ba­len Finanz­sys­tems. Es ist die Platt­form, auf der Sta­b­le­co­ins, NFT-Markt­plät­ze, RWAs wie toke­ni­sier­te Staats­an­lei­hen und dezen­tra­le Märk­te (DEXs) entstehen.

Aller­dings erfolg­te diese Ska­lie­rung nicht durch eine Wei­ter­ent­wick­lung des Ethe­re­um-Main­nets (Layer 1), son­dern über die Aus­la­ge­rung auf kom­mer­zi­ell finan­zier­te Erwei­te­run­gen — die soge­nann­ten Layer 2s (L2s).

Und wäh­rend die­ses Wachs­tum zwei­fel­los bul­lish für das Ethe­re­um-Öko­sys­tem wirkt, stellt sich für ETH-Hol­der eine fun­da­men­ta­le Frage:

Wird die­ses Wachs­tum auch ETH als Asset lang­fris­tig stär­ken — oder wird es im Gegen­teil durch Sta­b­le­co­ins und L2 Token kannibalisiert?

Ein Gedan­ke, der zuletzt wie­der an Rele­vanz gewon­nen hat, stammt von Nick Carter:

Sta­b­le­co­ins könn­ten sich als para­si­tär gegen­über Ethe­re­um erwei­sen — genau wie L2s es gegen­über dem ETH-Coin sind.

Diese These ist radi­kal. Aber sie zwingt uns, über den fun­da­men­ta­len Value Case für ETH nach­zu­den­ken. Und dabei tref­fen zwei Erzäh­lun­gen auf­ein­an­der, die schon lange im Ethe­re­um-Space zirkulieren:

These 1: ETH ist Geld (ETH is Money / Moneyness)

Die­ser Nar­ra­tiv ori­en­tiert sich stark an der Bit­co­in-Logik: ETH ist knapp, teil­bar, por­ta­bel und fun­gi­bel — also ein idea­ler mone­tä­rer Wert­spei­cher für das digi­ta­le Zeit­al­ter. Genau wie Bit­co­in posi­tio­niert sich ETH anstatt das „digi­ta­le Gold“ als “ultra­sound money” inner­halb des Ethereum-Ökosystems.

In die­ser Visi­on wird ETH:

ETH wird also zur „pris­ti­ne col­la­te­ral“ und Haupt­wäh­rung einem digi­ta­len Basis­geld, das tief in der On-Chain-Wirt­schaft ver­an­kert ist.

Die­ser Ansatz setzt vor­aus, dass Men­schen ETH nicht nur nut­zen, son­dern auch hal­ten wol­len — ähn­lich wie Bit­co­in. Die Idee: Je mehr Akteu­re im Ethe­re­um-Öko­sys­tem ETH als Geld akzep­tie­ren, desto höher steigt die Nach­fra­ge, desto sta­bi­ler wird der Preis, und desto stär­ker wird das Asset als mone­tä­rer Anker.

Doch genau hier zei­gen sich in der Rea­li­tät zuneh­mend Risse:
Die Nach­fra­ge nach Sta­b­le­co­ins wächst rasant — ins­be­son­de­re auf L2s, wo USD-deno­mi­nier­te Assets das Nut­zungs­ver­hal­ten domi­nie­ren. Immer mehr Pro­to­kol­le nut­zen statt ETH den Dol­lar als Refe­renz­grö­ße oder als Reserve.

Die ursprüng­li­che Idee von „ETH is Money“ ver­liert damit an Trak­ti­on. Zwar bleibt ETH ein zen­tra­les Asset, doch das Ver­hal­ten der Nut­zer zeigt: Man will nicht unbe­dingt ETH hal­ten, son­dern nut­zen, sta­ken oder eben tau­schen — vor allem gegen ent­we­der sta­bi­le­re oder ren­di­te­stär­ke­re Assets wie den Dol­lar oder Bit­co­in bzw. Meme­co­ins.
Ja, das haben Meme­co­ins und Bit­co­in gemein­sam — beide kön­nen im Kern nichts, außer im Preis stei­gen oder fal­len (unab­hän­gig von Dezen­tra­li­tät, Liqui­di­tät, Bekannt­heit oder Ordinals).

These 2: ETH ist ein produktiver Vermögenswert (Yield Asset)

Die Gegen­po­si­ti­on zur „ETH ist Geld“-These lau­tet: ETH ist kein pas­si­ves mone­tä­res Asset, son­dern ein pro­duk­ti­ves Gut. Es gene­riert Erträ­ge — durch den Ver­kauf von Block­space am L1, durch die Akti­vi­tä­ten auf den Layer 2s, durch MEV-Cap­tu­re sowie durch den Stake-Yield. Der zugrun­de lie­gen­de Nar­ra­tiv ist hier eher akti­en­ähn­lich:

Das Ziel ist klar: Yield gene­rie­ren — aus ech­tem Wirt­schafts­out­put, also ähn­lich wie Divi­den­den bei Akti­en oder Zin­sen bei Anleihen.

Vor 2021 war Ethe­re­um der domi­nan­te Layer‑1 mit ech­ten Netz­werk­ef­fek­ten, hoher Akti­vi­tät und rele­van­ten Ein­nah­men durch Gebüh­ren — ETH fun­gier­te als pro­duk­ti­ves Asset. Doch mit dem Auf­stieg von Kon­kur­ren­ten wie der Binan­ce Smart Chain und spä­ter Sol­a­na, die mitt­ler­wei­le in ein­zel­nen Metri­ken wie Han­dels­vo­lu­men vorne lie­gen, wuchs der Druck. Gleich­zei­tig ver­la­ger­te Ethe­re­um durch seine L2-Ska­lie­rungs­stra­te­gie die wirt­schaft­li­che Akti­vi­tät gezielt auf Layer 2s. Wäh­rend diese anfangs noch hohe Gebüh­ren an den L1 zahl­ten, mach­te das Den­cun-Upgrade L2s plötz­lich mas­siv güns­ti­ger — aber auch unab­hän­gi­ger. Das schwächt die direk­ten Fee-Ein­nah­men des L1s erheb­lich (100x) und führt zu einer Ent­kopp­lung von ETH als zen­tra­les Wert-Asset. Zudem ist die Bin­dung vie­ler L2s an ETH struk­tu­rell schwach: Gas-Zah­lun­gen in ETH sind oft optio­nal (Poly­gon, Star­kent), und Pro­jek­te wie Base könn­ten sich lang­fris­tig vom ETH-Mainn­net lösen. Wenn auf Base Gas in USDC gezahlt wer­den darf, fällt ETH als not­wen­di­ger Bestand­teil zur Nut­zung der Chain fak­tisch weg (User-sei­tig).

Um ETHs Rolle als Yield Asset zu sichern, muss Ethe­re­um Wege fin­den, den Wert­fluss zum L1 und zum ETH-Token dau­er­haft zu ver­an­kern — durch Pro­to­koll­ge­büh­ren, shared sequen­cing (L1 als Sequen­cer) oder kla­re­re wirt­schaft­li­che Anrei­ze für L2s.

Vergleich mit Gold, Aktien und Staatsanleihen

Hier wird der Unter­schied beson­ders greifbar:

Gold ist knapp, aber pas­siv. Sein Markt ist groß (~12–13T USD), aber es gibt keine Cash­flows.
Akti­en zah­len Divi­den­den und basie­ren auf Pro­duk­ti­vi­tät — hier liegt der Markt deut­lich grö­ßer (welt­weit >100T USD).
Staats­an­lei­hen sind sogar noch grö­ßer — mit über 130T USD glo­ba­lem Volu­men. Warum?

Weil Men­schen yield-bea­ring money bevor­zu­gen — also Geld­for­men, die Ertrag brin­gen. (Sir Paul Tucker)

Wie Ethereum zwischen BTC und Solana zerrieben wird

ETH hat sich in den letz­ten Jah­ren in einer gefähr­li­chen Sand­wich-Posi­ti­on wiedergefunden:

Die Folge:

Und da kommt der Punkt: Wenn ETH weder das beste Geld noch das ertrag­reichs­te Asset ist — wo liegt dann die Daseins­be­rech­ti­gung?

Konklusion: Ethereum muss sich entscheiden — und eigentlich ist die Entscheidung gefallen

Der Ver­such, ETH als „Geld“ zu posi­tio­nie­ren, war ambi­tio­niert — aber in einer Welt vol­ler Sta­b­le­co­ins, L2s, Toke­ni­zed RWAs und BTC als meme­tisch über­mäch­ti­gem Asset ver­liert diese Visi­on an Zugkraft.

Gleich­zei­tig bie­tet Ethe­re­um eine Infra­struk­tur, auf der enor­me wirt­schaft­li­che Akti­vi­tät pas­siert — und ETH kann, wenn rich­tig desi­gned, ein Share daran abschöpfen:

ETH als pro­duk­ti­ves Asset ist der über­zeu­gen­de­re Weg.

Es ist kein Zufall, dass Black­Rock, Frank­lin Temp­le­ton & Co Ethe­re­um als Infra­struk­tur­wet­te sehen — nicht als Wäh­rung. Rob­bie Mitch­nick (Black­Rock Digi­tal Assets) nann­te Ethe­re­um eine Tech­no­lo­gie­platt­form für das Finanz­sys­tem der Zukunft.

Das ist die Story:

Ethe­re­um als glo­ba­ler Sett­le­ment-Layer mit Reve­nue-Share. ETH als Fee-Asset, das den Wert aus wirt­schaft­li­cher Akti­vi­tät einfängt.

Wie Ethereum das erreichen kann

Um ETH wie­der nach­hal­tig als wert­vol­les Asset zu posi­tio­nie­ren, braucht es klare stra­te­gi­sche Schrit­te — sowohl tech­no­lo­gisch als auch narrativ.

1. Ethe­re­um muss mit­tel­fris­tig auch den L1 ska­lie­ren.
Nicht alle Anwen­dun­gen las­sen sich sinn­voll auf L2s aus­la­gern — ins­be­son­de­re kom­ple­xe „Money Legos“, die eng mit dem Sta­king-Pro­zess oder der Core-Infra­struk­tur ver­knüpft sind, funk­tio­nie­ren nur am L1 sinn­voll. Ohne eine gewis­se Basisska­lie­rung ris­kiert Ethe­re­um, lang­fris­tig den Anschluss zu verlieren.

2. Das Ethe­re­um-Öko­sys­tem muss wie­der zu einem kohä­ren­ten UX-Erleb­nis zusam­men­wach­sen.
Der aktu­el­le Zustand ist stark frag­men­tiert — Nut­zer müs­sen zwi­schen Chains, Bridges und Wal­lets jon­glie­ren. Die Visi­on ist: L2s wer­den “based“ und “nati­ve” — also stär­ker ans L1 ange­bun­den und gleich­zei­tig selbst dezen­tral. Nur so ent­steht wie­der ein ein­heit­li­ches Nut­zungs­er­leb­nis für Ent­wick­ler und Endnutzer.

3. Wachs­tum, Wachs­tum, Wachs­tum.
Ethe­re­um hat sich mit dem Den­cun-Upgrade und der güns­ti­gen Ska­lie­rung über L2s fak­tisch „über­ska­liert“ — also das Block­space-Ange­bot erwei­tert, bevor die Nach­fra­ge da war. Jetzt muss diese Nach­fra­ge fol­gen. Ethe­re­um muss sein 100x an zusätz­li­chem Block­space durch ein 1000x an Nut­zung kom­pen­sie­ren. Und das Poten­zi­al ist da: Der Markt ist groß genug — es geht um nichts Gerin­ge­res als die Infra­struk­tur für das glo­ba­le Finanz­sys­tem. Der Weg dort­hin: Sta­b­le­co­in-Adop­ti­on, RWAs, toke­ni­sier­te Tre­asu­ries und Onchain-Finanz­märk­te. Wenn Ethe­re­um sich als Sett­le­ment-Layer für das glo­ba­le Finanz­sys­tem eta­bliert, ent­ste­hen auto­ma­tisch mehr Trans­ak­tio­nen — und damit mehr Gebüh­ren für das Netzwerk.

4. Nar­ra­ti­ve-Shift: ETH als yield-bea­ring col­la­te­ral.
ETH muss als „digi­ta­les Bond-Äqui­va­lent“ ver­stan­den wer­den: sicher, liqui­de, pro­duk­tiv. Ein Asset, das man nicht nur spe­ku­la­tiv hält, son­dern als Basis für Finanz­trans­ak­tio­nen — mit rea­lem Ertragspotenzial.

5. Und viel­leicht am wich­tigs­ten: Der Preis muss stei­gen.
Kryp­to ist refle­xiv. Nar­ra­tiv folgt Preis — nicht anders­her­um. Sobald ETH wie­der stark per­formt, ändert sich auch die öffent­li­che Wahr­neh­mung: Die Com­mu­ni­ty wird opti­mis­ti­scher, Kapi­tal fließt zurück, neue Nut­zer kom­men. Preis erzeugt Momen­tum — und Momen­tum schafft Narrative.

Ein oft unterschätzter USP: Ethereum vereint Dezentralität und Nutzbarkeit

Einen ent­schei­den­den USP hat Ethe­re­um nach wie vor in der Tasche: ETH ist das ein­zi­ge große Kryp­to-Asset, das voll­stän­dig dezen­tra­li­siert ist und gleich­zei­tig nativ in einem pro­duk­ti­ven Layer-1-Sys­tem ver­wen­det wird.

Bit­co­in mag zwar das „reins­te“ Geld sein, ist jedoch auf Ethe­re­um oder ande­ren Chains nur in Form von Wrap­ped Assets nutz­bar — und damit genau­so ein­frier­bar und zen­sier­bar wie zen­tra­li­sier­te Sta­b­le­co­ins à la USDC oder USDT.

Ande­re L1-Coins wie SOL, TON oder SUI sind tech­no­lo­gisch span­nend, aber in ihrer Gover­nan­ce oder Vali­die­rungs­struk­tur ver­gleichs­wei­se stark zen­tra­li­siert — und damit auch leich­ter angreif­bar.

Auch soge­nann­te „dezen­tra­le Sta­b­le­co­ins“ (wie DAI oder USDS) sind meist auf Sicher­hei­ten ange­wie­sen, die selbst zen­tra­li­siert oder markt­vo­la­til sind — was ihre tat­säch­li­che Zen­sur­re­sis­tenz und Sta­bi­li­tät einschränkt.

ETH bleibt damit das ein­zi­ge liqui­de, dezen­tral abge­si­cher­te Asset, das sich gleich­zei­tig als pro­duk­ti­ves Fun­da­ment einer glo­ba­len Onchain-Öko­no­mie eignet.

Fazit: ETH ist kein Geld — ETH ist ein Asset

Ethe­re­um muss nicht ver­su­chen, Bit­co­in zu sein. ETH wird kein bes­se­res Geld als BTC, und es wird auch mit­tel­fris­tig nicht mehr als USDC gehal­ten werden.

Aber ETH kann das sein, was Bit­co­in nie­mals sein kann: ein pro­duk­ti­ver, ren­di­te-gene­rie­ren­der Ver­mö­gens­wert. Ein Asset, das am Puls der Onchain-Wirt­schaft hängt — mit direk­tem Zugang zu Gebüh­ren, Akti­vi­tä­ten, und zukünf­tig viel­leicht sogar Onchain-Kapitalmärkten.

Wenn Ethe­re­um sich auf die­ses Nar­ra­tiv fokus­siert, dann ist ETH nicht para­si­tär geschwächt — son­dern steht im Zen­trum eines neuen, glo­ba­len Finanzsystems.